Was spricht für den Bau eines Bürokomplexes auf dem Zeise-Parkplatz?
Nichts außer Profitmaximierung. Procom Invest hat das städtische Grundstück jahrelang gepachtet und auf der Brache den Zeise-Parkplatz betrieben. Das Unternehmen hatte als Nachbar und Pächter so von Anfang an die Hand auf diesem Herzstück Ottensens in A-Lage. Ein Gelände, auf dem namhafte Wohnungsbau-Genossenschaften gern bezahlbaren Wohnraum bauen würden.
2012 wurde vom Investor Procom selbst ein nicht-öffentlicher Wettbewerb für eine Wohnbebauung ausgeschrieben. Dieses Wohnungsbaukonzept war die Grundlage für die erste Anhandgabe des Grundstückes 2013. Vorgesehen waren Ladenzeilen und 86 Wohnungen, davon 41 sozial gefördert. Im März 2014 wurden die Baupläne heimlich geändert. Wohnungen sollen seitdem nicht mehr gebaut werden. Denn ein Bürokomplex verspricht wesentlich mehr Profit.
Die Größenordnung des nun geplanten 13.000 qm-Bürokomplexes für bis zu 1.000 Mitarbeiter überfordert die ohnehin bereits überlastete Infrastruktur und bringt die gewachsene Mischung aus Wohnen, Kultur und kleinteiligem Gewerbe im 30.000 Einwohner-Stadtteil Ottensen empfindlich aus dem Gleichgewicht.
Wie steht es um Gewerbeflächen in Altona?
Es gibt jede Menge leer stehende Büroflächen in Ottensen und Altona. In direkter Nachbarschaft der Zeisehallen stehen Bürogebäude mit Tausenden qm leer – z.B. im Vivo, Im Haus der Multimedia-Produzenten in der Behringstraße, im UCI-Komplex u.a.
Kümmert sich Procom Invest um sinnvolle Gewerbe-Ansiedlung? Nein. In den Zeisehallen selbst lässt das Unternehmen seit Ende 2012 die ehemaligen Räume der Theaterakademie Hamburg leer stehen. 2.300 qm Büro- und Atelierflächen – bestehender Raum für z.B. 100 bis 150 Arbeitsplätze im Medienbereich. Laut Aussage von Procom vom 23.9.2015 ist die Fläche seit einem Jahr (Ende 2014) vermietet. Zu sehen ist davon noch nichts.
Wie kam es zur Preisfindung beim Verkauf des Zeise-Parkplatzes?
Ohne öffentliche Ausschreibung. Das städtische Grundstück wurde im Auftrag der Finanzbehörde ohne öffentliche Ausschreibung für eine gewerbliche Bebauung an Procom und Quantum verkauft.
Die Finanzbehörde muss sich hier den Vorwurf gefallen lassen, zu Lasten des Steuerzahlers nicht den maximal möglichen Preis unter mehreren Bietern ausgehandelt zu haben. Wie das üblich und sinnvoll wäre. Namhafte Wohnungsbau-Genossenschaften, die auf diesem Grundstück gern bezahlbaren Wohnraum bauen würden, bekamen so keine Gelegenheit, dieses Grundstück zu erwerben.
Beeinflusst das Projekt die Mieten in Ottensen?
Bereits jetzt in der Planungsphase. Die Bürobaupläne von Procom und Quantum auf dem Zeise-Parkplatz treiben neben den Gewerbemieten auch die Wohnungsmieten im unmittelbaren Umfeld weiter nach oben.
Neuvermietungen von 14,- Euro kalt aufwärts sind aktuell Standard in Ottensen und im Zentrum Altonas. Die geplante großkalibrige Gewerbeansiedlung würde durch Zuzug von Mitarbeitern auch den Druck auf die Wohnungsmieten nochmals erhöhen.
Mieten-Atlas 2015 Hamburg
Wie wirkt sich die Ansiedlung auf die Gastronomie aus?
Die Gastronomie im Umfeld der Zeisehallen ist morgens, mittags und abends sehr gut ausgelastet. Ottensen ist ein florierender Stadtteil mit einem überdurchschnittlichen gastronomischen Angebot und braucht diese Ansiedlung nicht. Denn der Preis dafür sind steigende Mieten. Der Aufwärtstrend der Mietpreise wird sich auch für die wenigen verbliebenen nicht-gastronomischen Ladenflächen durch dieses Vorhaben fortsetzen. Ein Gewerbegebäude dieser Größenordnung zieht weitere gastronomische Betriebe an. Doch eine Monokultur entspricht nicht den Bedürfnissen der Menschen, die hier leben.
Wie wird sich die Verkehrssituation rund um den Neubau entwickeln?
Die Größenordnung einer jeglichen Gewerbe-Umsiedlung für bis zu 1.000 Beschäftigte am geplanten Standort Friedensalle überfordert die ohnehin bereits stark überlastete Verkehrs-Infrastruktur. In den Hauptverkehrszeiten gibt es auch jetzt bereits kaum ein Durchkommen ohne lange Staus in Ottensen. Die Schadstoffbelastung in der Luft ist entsprechend hoch.
Wenn also angeblich „90 Prozent der Mitarbeiter von Scholz & Friends mit Bus, Bahn oder Fahrrad zur Arbeit kommen“ (behauptet Procom) – warum sollen dann Hunderte von Parkplätzen für Scholz & Friends unterhalb des Bürokomplexes gebaut werden? Nur etwa 75 davon sollen tagsüber öffentlich sein.
Oder geht es hier nur um noch mehr Rendite für den „Spezialfond City-Parking“ von Zeise-Investor Quantum?
ARD/Das Erste.de: Clever Geld parken – wie Parkplatzfonds hohe Renditen versprechen
Wie wirkt sich das Projekt auf die Büromieten in Ottensen aus?
Die Gewerbemieten steigen schneller als die Wohnungsmieten. Nur ein Beispiel: In den von Procom Invest betriebenen Zeisehallen sind die Mieten kürzlich um bis zu 20% (in der Gastronomie) erhöht worden. Einige Verträge wurden nur befristet verlängert, andere garnicht. Ähnlich ergeht es Ladengeschäften in der Friedensalle und Umgebung. Laufende Verträge werden von Vermietern entweder nicht verlängert oder nur zu deutlich erhöhten Konditionen.
Leer weil zu teuer? In den Zeisehallen selbst lässt Procom Invest seit Ende 2012 die ehemaligen Räume der Theaterakademie Hamburg leer stehen. 2.300 qm Leerstand? Warum? Weil die von Procom verlangten Konditionen (flächenübergreifend 16,- bis 17,- Euro kalt für unsanierte Büro- und Lagerräume) weit über den Büromieten der Umgebung liegen (11,- bis 12,- Euro kalt für voll sanierte Flächen etwa in der Borselstraße). Laut Aussage von Procom vom 23.9.2015 ist die Fläche seit einem Jahr (Ende 2014) vermietet. Zu sehen ist davon noch nichts.
Aber es heißt doch ständig, Hamburg brauche mehr Wohnungen!
Richtig. Ottensen braucht Wohnungen. Es sind zwar viele Wohneinheiten im Bezirk in Planung, diese sind aber selbst für Normalverdiener kaum noch zu bezahlen. Neuvermietungen von 14,- Euro kalt aufwärts sind mittlerweile Standard in Ottensen und im Zentrum Altonas.
Konkret sind in Ottensen sind in den letzten Jahren etwa 600 Wohnungen gebaut worden, ein Großteil davon Eigentumswohnungen und einige hochpreisige Mietwohnungen. Gerade einmal 10 sozial geförderte Wohnungen entstanden in dieser Zeit. Es besteht also in Ottensen vor allem ein sehr großer Nachholbedarf für den Bau bezahlbarer und sozial geförderter Wohnungen. Allein bei der Genossenschaft Altoba stehen etwa 16.000 Menschen auf den Wartelisten.
Wieviele Arbeitsplätze entstehen durch den Umzug?
Der angekündigte Arbeitsplatz-Tourismus schafft keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. Im Gegenteil. Die Umzugspläne sind womöglich der Deckmantel für ein Sanierungskonzept von Scholz & Friends/WPP. Durch die Zusammenfassung von 12 Agenturtöchtern des Konzerns sollen wahrscheinlich Einsparpotentiale bei Mitarbeitern und Miete gehoben werden. Dass eine solche Standort-Zusammenlegung keine Arbeitsplätze in Hamburg sichert (…mit diesem Kernargument begründen sowohl Scholz & Friends als auch der Senat den Bürokomplex), lässt sich am Beispiel S&F Berlin in kleinerem Rahmen anschaulich nachvollziehen:
Horizont.net: Scholz & Friends Berlin baut um – und kündigt 20 Mitarbeitern
wuv.de: Mitarbeiter von Scholz & Friends Berlin gründen Betriebsrat
Was spricht für Mieter wie Scholz & Friends?
Aus Sicht der Investoren: Vor allem Geld. Vieles andere spricht dagegen: Die Größenordnung einer jeglichen Gewerbe-Umsiedlung für bis zu 1.000 Beschäftigte am geplanten Standort Friedensalle überfordert die ohnehin bereits überlastete Infrastruktur und bringt die gewachsene Mischung aus Wohnen, Kultur und kleinteiligem Gewerbe im 30.000 Einwohner-Stadtteil Ottensen empfindlich aus dem Gleichgewicht.
Der Widerstand der Bevölkerung richtet sich nicht gegen „Werber“, sondern gegen die Dimensionen eines unnötigen 13.000qm-Spekulationsbaus, der die überhitzte Mietpreisspirale vor Ort noch weiter befeuert und ein weites Umfeld noch mehr in Richtung AA+Lage hochtreibt. Während gleichzeitig in unmittelbarer Nachbarschaft Bürogebäude leerstehen.
Inwiefern ist der potentielle Mieter Scholz & Friends für den Bürokomplex mitverantwortlich?
Als Auslöser der Bürobaupläne. Der Geschäftsführung von Scholz & Friends Hamburg waren die Wohnungsbaupläne auf dem Zeise-Parkplatz lange bekannt. Dennoch hat Scholz & Friends initiativ einen Mietvertrag für 15 Jahre unterzeichnet – und damit die heimliche Änderung der Baupläne ausgelöst. Dabei standen 15 mögliche Standorte in Hamburg für das Vorhaben der Agentur zur Verfügung.
wuv.de: Protest gegen Hamburger WPP-Quartier: Offener Brief an Sorrell
Wir haben Scholz & Friends bereits mit der symbolischen Verleihung der Gentrifizierungs-Schraube in Gold für „einen herausragenden Beitrag zur Gentrifizierung Ottensens“ im Januar 2015 nachdrücklich auf diese Missachtung hingewiesen und Schritte zum Dialog angeregt.
HH Mittendrin: Protestaktion: ”Altona zieht in die Hafencity”
Statt auf die Menschen Ottensens zuzugehen und sich selbst sorgfältig ein Bild von der Situation vor Ort zu machen, hat sich die Geschäftsführung von Scholz & Friends jedoch für die Variante „Unfreundliche Übernahme“ entschieden und ihre engen Beziehungen in die Politik spielen lassen.
Die Konsequenz: Die Aufforderung Tausender Bürgerinnen und Bürger Hamburgs an die Geschäftsführung von Scholz & Friends Hamburg: Scholz & Friends – bleibt in der Hafencity!
Zur Online-Petition auf change.org
Gibt es Befürworter des Projekts? Über 17.000 Stimmen sind jedenfalls dagegen.
Für einen Bürokomplex Zeise-2 gibt es in Ottensen keine Mehrheit in der Bevölkerung. Die ursprünglich zugesagten Pläne für Wohnungen plus Ladenzeile wurden dagegen überwiegend positiv aufgenommen. Das Grundstück wurde dennoch in nicht-öffentlicher Sitzung von der Kommission für Bodenordnung für den Bürobau veräußert.
Warum wird der Bürokomplex so vehement abgelehnt? Es geht hier um ein politisches Geschäft. Politik und Investoren möchten dieses Vorhaben gegen den Willen eines großen Teils der Bevölkerung durchsetzen. Es herrscht in Ottensen großer Unmut über die Art und Weise, in der dieser Deal in einem engen Beziehungsgeflecht aus Politikern, Investoren und Marketing-Lobbyisten im Hinterzimmer unter Ausschluss der Öffentlichkeit eingefädelt wurde.
Bürger beteiligen statt Versprechen zu brechen: Mit knapp 9.000 Unterschriften für das erfolgreiche Bürgerbegehren “Platz zum Wohnen!” wurde ein Bürgerentscheid für eine Wohnbebauung im Bezirk Altona durchgesetzt. Dieser ist einer Entscheidung der Bezirksversammlung gleichrangig. Innerhalb von 4 Monaten wird die Frage nach Befürwortern und Gegnern nun eindeutig geklärt werden.